Ein Beitrag zum EU-Krebsbekämpfungsplan. Ein leichter bis moderater Weinkonsum geht im Rahmen einer insgesamt gesunden Lebensweise mit einer besseren Lebenserwartung einher. Selbst die Krebssterblichkeit ist bei moderatem Weinkonsum verringert, wenn zugleich gesund gegessen wird. Eine neue Auswertung vorhandener Daten aus der EU kommt nun zu dem Schluss, den moderaten Konsum alkoholischer Getränke als nennenswertes Krebsrisiko einzustufen. Wie lässt sich dies einordnen?
Es gibt keinen Zweifel daran, dass ein hoher Konsum alkoholischer Getränke – unabhängig welche – das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen steigert. Eine neue Studie unterstützt jedoch die oft geäußerte, pauschale Aussage, jeglicher Konsum sei krebsfördernd. Dazu hatte ein internationales Forscherteam anhand vorhandener Daten zum Konsum alkoholischer Getränke in der EU im Jahr 2008 und der Zahl der Krebsneuerkrankungen 2017 Berechnungen angestellt. Die Frage war, ob auch ein leichter bis moderater Konsum alkoholischer Getränke ein nennenswertes Krebsrisiko darstellt.
Vereinfachende Modellrechnung
Als Obergrenze definierten die Wissenschaftler einen durchschnittlichen Konsum von 20 g Alkohol pro Tag, was in etwa 600 ml Bier, 0,2 l Wein oder 4 cl Spirituosen entspricht. Die Daten entnahmen sie aus vorhandenen Studien, um sie zur Anzahl der Krebsneuerkrankungen in der EU neun Jahre später in Beziehung zu setzen. Dies ist nachvollziehbar, da die Entwicklung einer Krebserkrankung viele Jahre benötigt.
Anhand ihrer Rechenmodelle wurde nun nach Zusammenhängen zwischen einem leichten bis moderaten Konsum alkoholischer Getränke und allen Krebsleiden geschaut sowie dem Anteil jener Krebsarten, die mit diesen Getränken in Verbindung stehen. Dies sind Krebserkrankungen der Lippen, der Mundhöhle, des Kehlkopfes und der Speiseröhre, des Dick- und Enddarmes, der Leber und der Brust. Im Rahmen dieser Studie wurden diese Krebsleiden allerdings so behandelt, als würden sie ausschließlich durch den Konsum alkoholischer Getränke verursacht, was nicht der Realität entspricht.
Die Ergebnisse
Bei gut 73 Prozent aller Krebserkrankungen des Jahres 2017 (ca. 3,7 Mio.) gab es keinen Zusammenhang zum Konsum alkoholischer Getränke.
Für rund 22 Prozent aller Krebsfälle (knapp 1 Mio.) galt der Konsum alkoholischer Getränke allgemein als ein Risikofaktor.
Etwa 4 Prozent der Krebserkrankungen des Jahres 2017 in der EU (172.600 Fälle) wurden auf den Konsum alkoholischer Getränke zurückgeführt (siehe obige Liste).
Insgesamt 0,62 Prozent aller Krebserkrankungen des Jahres 2017 in der EU (23.000) wurden auf einen leichten bis moderaten Konsum alkoholischer Getränke zurückgeführt.
Davon entfiel die Hälfte (ca. 0,3 Prozent, 11.000 Fälle) auf Brustkrebserkrankungen bei Frauen.
Die Autoren schließen daraus, dass auch ein moderater Konsum ein nennenswertes Krebsrisiko darstelle und dass die Bevölkerung davor zu warnen sei. Damit haben sie es sich etwas zu einfach gemacht.
Wo bleibt der Kontext?
Bedauerlicherweise berücksichtigt diese Studie mehrere Punkte nicht, von denen bekannt ist, dass sie das Krebsrisiko beeinflussen: die Art der Getränke, das Trinkmuster (z. B. täglich vs. Wochenende) sowie den Kontext der gesamten Ernährungsweise und des Lebensstils. Neben dem Krebsrisiko sollte auch die Sterblichkeit nicht aus den Augen verloren werden: Beispielsweise hatte sich in einer amerikanischen Studie neben dem Nichtrauchen, einem normalen Body-Mass-Index, einer gesunden Ernährung und regelmäßiger Bewegung als fünfter Punkt ein mäßiger Konsum alkoholischer Getränke (bis 15 g/Tag für Frauen, bis 30 g für Männer) als günstig für die Lebenserwartung erwiesen.
Ein weiterer Fallstrick ist das „Underreporting“ (engl. für zu geringe Angaben), das gerade beim Thema alkoholische Getränke besonders ausgeprägt ist und die Studienergebnisse erheblich verfälschen kann. Beim Brustkrebsrisiko der Frauen spielt dieser Punkt eine besondere Rolle.
Alkohol ist nicht gleich Alkohol; Pauschalurteile: nicht zielführend
Diese Studie zeigt, dass Pauschalurteile der komplexen Situation nicht gerecht werden. Ob und inwiefern der Konsum alkoholischer Getränke ein Gesundheitsrisiko darstellt, wird von vielen Faktoren beeinflusst, die in dieser Analyse unberücksichtigt blieben. Professor Ramon Estruch von der Universität in Barcelona weist in seinen Vorträgen darauf hin, dass für jeden Menschen je nach Alter, Geschlecht, Krankheiten und Risiken eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen ist. Dazu seien mehr hochwertige Studien durchzuführen, die sowohl die Ess- als auch die Trinkmuster berücksichtigen. Dann, so Estruch, werde sich zeigen, dass ein moderater Weingenuss im Rahmen einer gesunden (mediterranen) Ernährung das Krebsrisiko sogar senken könne.
Hier lesen Sie die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats.
Factsheet des Comité Européen des Entreprises Vins in english Language.
Quelle: Rovira, P, Rehm, J: Estimation of cancers caused by light to moderate alcohol consumption in the European Union. European Journal of Public Health 2020; doi: 10.1093/eurpub/ckaa236
Quellen für die kritischen Annmerkungen: Estruch, R: online Seminar für das Wine Information Council (WIC) am 30.9.2020
Li, Y et al.: Impact of healthy lifestyle factors on life expectancies in the US population. Circulation 2018;138:345-355
Schwingshackl, L et al.: Adherence to Mediterranean Diet and Risk of Cancer: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. Nutrients 2017;9:1063
Vance, MC et al.: Underappreciated Bias Created by Measurement Error in Risk Factor Assessment – A Case Study of No Safe Level of Alcohol Consumption. JAMA Intern Med 2020;180:459-461
Erstellt am 03.02.2021
Quelle: Folien und Text:
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