Thomas Martin wurde am 16. Oktober 1966 in Mannheim geboren, wo seine Eltern das ‚Fischspezialitäten-Restaurant Martin‘ betrieben. Statt zu übernehmen, wählte er seinen eigenen, sehr erfolgreichen Weg. Seit 1997 ist er Küchenchef im Restaurant Jacobs vom Hotel Louis C. Jacob an der Elbchaussee. Seine aktuellen Auszeichnungen: 18 Gault Millau Punkte, 8 Gusto Pfannen und 3,5 Punkte im Der Feinschmecker sowie von 2011 bis 2020 zwei Michelin Sterne.
Welche Produkte oder Aromen erinnern Sie an Ihre Kindheit?
Wenn ich von der Schule nach Hause kam, konnte ich direkt in die Küche gehen und alle möglichen Düfte riechen. Die Küchenchefin Pepi hat mir oft mein Lieblingsgericht Schnitzel mit Pommes gemacht. Ich vermisse den Geruch von angebratenem Sauerbraten und dazu Kartoffelknödel – einfach lecker!
Wo haben Sie das Kochen gelernt?
Ich habe 1983 in Hamburg im traditionellen, englischen ‚Anglo-German Club‘ an der Außenalster gelernt. Mein Konto war während meiner Ausbildung und meiner Wanderjahre ständig überzogen, denn ich habe die paar Kröten fürs Essengehen ausgegeben.
Was haben Sie bei Ihren Top-Stationen gelernt: 1990 bei Lothar Eiermann in Zweiflingen, 1991 bei Eckart Witzigmann in der Aubergine (München) und 1994 im Restaurant Zur Traube (Grevenbroich) bei Dieter L. Kaufmann?
Lothar Eiermann hat mir beigebracht, wie man mit großen Bratstücken umgeht – Rehrücken, Rebhühner, Fasan im Federkleid, ganze Fische. Eckart Witzigmann hat mir gezeigt, was es bedeutet, im letzten Moment alles zuzubereiten und wie wichtig die Qualität der Produkte ist. Die allerhöchsten Ansprüche des 3-Sterne-Kochs war Benchmark für alles! Dieter Kaufmann war für mich der Saucen-König. Ich war zwei Jahre Poissonnier bei ihm. Dachte ich, meine Sauce ist fertig, hat er noch ordentlich Süßwein rangemacht oder eine Beerenauslese – es schmeckte dann genial. So habe ich bei jedem der großen Chefs viel gelernt und daraus mein eigenes Ziel entwickelt.
Wohin reisen Sie gerne als Privatmann?
Meine Frau und ich bevorzugen Kurzurlaube in Städte wie Paris, Prag oder London. Wichtig ist die Restaurantkultur, denn ich gehe auch leidenschaftlich gerne essen. Durch unsere Städtereisen und deren Esskulturen ist mein Wissen und Können extrem gewachsen.
24 Jahre stehen Sie am Herd vom Restaurant Jacobs in Hamburg. Welche Veränderungen in der Hochküche haben die Gäste mit Ihnen durchgemacht?
Ich habe 1997 angefangen mit meiner modernen Variante der klassischen Küche und die Gäste waren begeistert. Wir bekamen den ersten Michelin Stern und ich wurde ‚Koch des Jahres‘ im Gault Millau. Du entwickelst dich als Koch weiter: es gibt Phasen, wo du kreativ bist und tolle Ideen hast, die in den Zeitgeist passen. Dann kommen aber auch Phasen, wo du neben Deiner Spur kochst, so eine Phase hatte ich auch. Diese Erfahrungen haben mich zurückgeführt zur klassischen Küche modern interpretiert: Produkt fokussiert, die Sauce intensiv, für den Gast nachvollziehbare Gerichte mit hohem Anspruch. Zu Beginn meines Wirkens gab es große Portionen und ich habe nicht mit Butter gespart, wie z.B. bei der Trüffelsauce. Heute sind meine Saucen leichter geworden, die Mousse und Cremes luftiger. Aber sorry: An mein Kartoffelpüree kommt genauso viel Butter wie früher. Gerichte, die ich mir damals überlegt habe, wie geschmorte Ochsenschulter mit Kartoffelpüree, Möhren und glasierten Zwiebeln, stehen modernisiert noch heute auf unserer Speisekarte.
In den Jahren gab es Hochs und Tiefs. Ich erinnere mich: Als ich im Jacobs anfing hat ein renommierter Restaurantkritiker meine Küche aufs Korn genommen. Das hat mich tief getroffen. Ich war jung, dynamisch, hatte viel Ehrgeiz und wollte Erfolg haben – dann kommt so ein Dämpfer. Aber der war wichtig, um zu reifen und zu lernen, mit Kritik umzugehen.
Welchen Anteil hat Ihr Team am Kreativprozess?
Am Anfang habe ich mir die Rezepte allein ausgedacht. Heute kann man nur im Team Erfolg haben. Meine Sous-Chefs und die Postenküche denken sich gemeinsam mit mir die Gerichte aus. Ich sorge für die Linie und Klarheit durch Geschmacksintensität und Produktqualität, meine Köche sorgen für das gewisse Quäntchen Kreativität und Modernität. Einfach mal den Nachwuchs machen lassen, Verantwortung übergeben und dann selbst das Fine-Tuning übernehmen, das ist für mich die beste Art, ein Team zu führen.
Sie bevorzugen Produkte aus Norddeutschland. Wie haben Sie Ihr Produzenten-Netzwerk aufgebaut?
Regionalität war immer ein Thema bei mir. Ich habe früh versucht, mit Landwirten und Produzenten zusammenzuarbeiten, die in der weiteren Umgebung von Hamburg anbauen. Entscheidend ist für mich, dass die Qualität immer konstant ist und ich auch kleine Mengen abfragen kann. Als Koch muss ich flexibel sein: Ich kann nicht erwarten, dass der Zander immer die gleiche Größe hat und muss auch mal auf andere Fische zurückgreifen. Wir liegen im Westen der Elbmetropole, sind frankophil, aber auch Hamburg bezogen: unsere Zubereitungsweisen haben französische Wurzeln, dafür sind unsere Produkte nordisch.
Viele reißen sich darum, bei Ihnen zu lernen. Was zeigen Sie Ihren Mitarbeitern?
Ich zeige Dinge, die mich geprägt haben. Wie bei Lothar Eiermann verarbeiten wir auch ganze Tiere z. B. Wildgeflügel und ich zeige, wie man sie optimal zubereitet. Das Gleiche gilt für Fisch: Wie gehe ich mit einem ganzen Loup de mer oder einer Rotbarbe um, wie filetiere und brate ich eine Forelle als Schmetterling, sodass die Haut kross ist und das Fleisch saftig. Bei jedem Abendservice müssen wir hundert Prozent abliefern und trainieren jedes Mal neu auf hohem Niveau, denn die Gerichte sind besprochen.
Sie sind sehr lange Gastkoch beim Schleswig-Holstein Gourmet Festival. Ist das bei Ihnen schon Routine?
Nein, jedes Haus, jeder Termin ist anders. Ich mache das seit 2003 und bin immer toll aufgenommen worden. Wir Köche betreiben ja ein Handwerk und verstehen uns blind. Vorab wird mit dem Chef das Porzellan für die einzelnen Gänge besprochen. Als Gastkoch kommt man in eine fremde Küche und passt sich den Gegebenheiten an, guckt, wo die Pfannen stehen, wie der Herd und die Öfen sind. Das ist vom Anfang bis zum Schluss echtes Teamwork. Es hat bis dato immer richtig Spaß gemacht mit tollen Chefs, Köchen und interessierten Gästen.
Woran orientieren Sie sich bei der SHGF Menügestaltung?
An der Regionalität, der Jahreszeit und meiner Handschrift – da gibt es keine Experimente. Es sind meine Klassiker, die ich auf die Menükarte schreibe. Unter Klassikern verstehe ich Gerichte, die sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt haben, also immer anders daherkommen.
Wie wichtig sind für Sie und das Geschäft die Auszeichnungen der Restaurant Führer?
Auszeichnungen sind eine tolle Bestätigung. Entscheidend ist aber, dass der Gast Freude an unserem Essen hat. Der Koch sollte zu seiner Küche stehen, eine klare Handschrift haben, das Ambiente, der Service, die Weine, die Stimmung – all das gehört dazu. Das Ganze hat natürlich einen wirtschaftlichen Vorteil.
Der Guide Michelin 2021 hat Ihnen in der Pandemie-Zeit während der Lockdowns beide Sterne aberkannt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das Jacobs hat seit dem ersten Lockdown im März 2020 kein ‚Gourmet‘ angeboten, sondern eine reduzierte Karte. Seit 1999 wird das Jacobs Restaurant vom Guide Michelin regelmäßig ausgezeichnet. Die Aberkennung schmerzt mich, wenngleich die Entscheidung der besonderen Situation geschuldet ist. Auch in 2021 sieht es so aus, als würde die Gastronomie nicht ohne Einschränkungen öffnen dürfen. Daran wird sich das Jacobs wieder richten.
Fotos: Susanne Plaß, Louis C. Jacob
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