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Medizin News

durch Klaus Lenser

Therapietreue der Patienten muss dringend verbessert werden

„Jeder zweite Patient wendet seine ärztlich verordneten Arzneimittel in der Langzeittherapie gar nicht oder nicht richtig an. Das schadet dem Einzelnen. Der Fehlgebrauch verursacht überdies immense Kosten im Gesundheitssystem“, sagt Gabriele R. Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. „Hier besteht großer Handlungsbedarf.“

Ganz besonders beim Start einer neuen Medikation haben Patienten*innen Probleme: mögliche Nebenwirkungen machen Angst, sodass Therapien gar nicht erst begonnen oder frühzeitig wieder abgebrochen werden. Am Beispiel Blutdrucksenker wird es deutlich: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache. Entscheidender Risikofaktor ist nicht behandelter Bluthochdruck. 30 % der Deutschen sind betroffen. Der Blutdruck kann medikamentös gut gesenkt werden. Dazu müssen die Arzneimittel langfristig und regelmäßig eingenommen werden. Weil gerade zu Beginn der Einnahme Schwindel oder Benommenheit als unerwünschte Wirkung auftreten können, brechen Patienten*innen die Therapie häufig wieder ab. Overwiening: „Wenn Patienten*innen zu Beginn einer Dauertherapie ausführlich im Gespräch mit einer Apothekerin oder einem Apotheker beraten werden und sich über ihre Erwartungen, Befürchtungen und etwaige Beschwerden austauschen können, verbessert das die Therapietreue. Die Therapietreue ist die unbedingte Voraussetzung für den Therapieerfolg.“

Ein zweites treffendes Beispiel für Arzneimittel, die häufig zu Fehlanwendungen führen, sind Medikamente wie Asthma-Inhalatoren oder Insulinpens. Apothekerinnen und Apotheker können Patienten*innen fit für den sicheren Umgang machen. „Mit einem Flyer oder einem Erklärvideo ist das nicht getan. Dauerhaften Erfolg erreichen wir nur, wenn Patienten*innen in der Apotheke die Handhabung mit direktem apothekerlichen Feedback üben“, sagt Overwiening. „Das ist kurzfristig zeitintensiv, zeigt langfristig aber die besten Erfolge.“

Overwiening: „Die ausführliche individuelle Anleitung der Patienten*innen ist aufwändig. Sie geht weit über das ’normale‘ Beratungsgespräch hinaus. Entsprechende pharmazeutische Dienstleistungen der Apotheke vor Ort helfen den Menschen! Entsprechende pharmazeutische Dienstleistungen machen Therapien wirksam und sicher. Krankenkassen sind gefordert, diese apothekerlichen Angebote für ihre Versicherten zu bezahlen. Es wird sich auch für sie auszahlen.“

Original-Content am 24.3. 2021 von: ABDA Bundesvgg. Dt. Apothekerverbände

www.abda.de

 


 

Wichtiger Puzzlestein für die Therapie seltener genetischer Erkrankungen entdeckt

Viele Zelltypen im menschlichen Körper verfügen über einen präzisen Mechanismus zur Kalziumaufnahme. Ein Gen, in dem ein Teil des Bauplans für diese sogenannten Kalziumkanäle codiert ist, ist gleichzeitig für eine seltene menschliche Entwicklungsstörung mitverantwortlich, die Epilepsie und Autismus auslöst. Eine Innsbrucker Forschungsgruppe untersucht diese Zusammenhänge und arbeitet an einer möglichen Therapieform.

Autismus und Epilepsie treten gehäuft im frühen Kindesalter auf. Die Ursachen dieser Entwicklungsstörungen liegen noch weitgehend im Dunkeln. Jetzt haben Forscherinnen und Forscher erstmals wichtige Zusammenhänge entdeckt. Quelle: Caleb Woods,

Kalzium ist im Körper des Menschen eine streng regulierte Substanz. Der Mineralstoff ist nicht nur für die Knochen und Zähne wichtig, sondern spielt auch eine wesentliche Rolle bei der Funktion von Muskeln, im Herz-Kreislauf-System, dem Hormonhaushalt oder im Nervensystem. Viele Zelltypen im menschlichen Körper verfügen über einen eigenen Mechanismus, der bei Bedarf eine exakte Menge geladener Kalziumionen in ihr Inneres gelangen lässt. Wenn diese Zellen elektrisch erregt werden, öffnen sich für Bruchteile von Sekunden sogenannte Kalziumkanäle – kleine Poren, durch die tatsächlich nur Ionen dieses Elements durchschlüpfen können. Dieser Mechanismus ist beispielsweise auch in den Herzmuskelzellen an der Organisation einer regelmäßigen Kontraktion des Organs, also des Herzschlags, beteiligt.

Jörg Striessnig, Professor am Department für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Innsbruck, beschäftigen die Kalziumkanäle der menschlichen Zellen schon seit den frühen 1980er-Jahren. In seiner Arbeitsgruppe wurde unter anderem erforscht, wie das Öffnen und Schließen der Kanäle durch eine elektrische Erregung konkret funktioniert und auf welche Weise Medikamente diesen Mechanismus beeinflussen. Zudem konnten dank fortgeschrittener molekularbiologischer Forschungsmethoden bestimmte Probleme bei der Regulierung der Kanäle mit seltenen genetischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, die kindliche Entwicklungsstörungen, Autismus oder Epilepsie auslösen. In einem aktuellen vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt versucht Striessnig mit Kolleginnen und Kollegen, noch mehr über diese Zusammenhänge herauszufinden und mögliche erste Therapieformen zu finden.

Spontane Gen-Mutationen lösen Krankheiten aus

„Mit den Möglichkeiten des ‚Next Generation Sequencing‘ kann die genetische Information eines Menschen schnell und vergleichsweise günstig erhoben werden“, erklärt Striessnig. „Damit können auch genetische Erkrankungen, die nicht vererbt wurden, sondern durch spontane Mutation entstehen – man spricht von De-novo-Mutationen –, besser charakterisiert werden.“ Dank der schnellen Sequenzierungsmethoden und neuartiger bioinformatischer Auswertungsmöglichkeiten werden so auch immer mehr menschliche Gene identifiziert, die durch ihre Defekte angeborene Entwicklungsstörungen auslösen können.

Unter anderem wurde auf diese Art das Gen mit der Bezeichnung CACNA1D als Risikofaktor für die Entstehung von Autismus identifiziert. Gleichzeitig ist CACNA1D Striessnig und seinem Team auch durch ihre Kalziumkanal-Forschung wohlbekannt. Denn das Gen ist für die Erzeugung eines Proteins verantwortlich, das für den Öffnungs- und Schließmechanismus einer bestimmten Art der Kalziumkanäle mit der Bezeichnung Cav1.3 zuständig ist.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun anhand von Zellkulturmodellen untersucht, welche Funktionsänderung jener für die Entwicklungsstörung verantwortliche Gendefekt in den Kalziumkanälen auslöst. „Wir haben gesehen, dass es da zu einer Veränderung in der Art kommt, wie sich der Kalziumkanal öffnet und schließt“, fasst Striessnig das Ergebnis der Untersuchung zusammen. „Der Gendefekt aktiviert diese Kalziumkanäle und verstärkt ihre Funktion.“

Genetische Entwicklungsstörung, die Epilepsie und Autismus auslöst

Die Zahl der Personen, deren Erkrankung auf einem Gendefekt von CACNA1D fußt, ist überschaubar. Striessnigs Arbeitsgruppe ist mit etwa zwölf Familien auf der ganzen Welt in Kontakt, bei denen ein Kind Entwicklungsstörungen mit dieser Ursache aufweist. Zum Krankheitsbild gehören in den meisten Fällen eine stärkere intellektuelle Beeinträchtigung und Epilepsie, bei einigen Fällen auch Autismus und autoaggressives Verhalten. „Es ist eine ganz seltene Erkrankung, aber sie ist auch bestimmt unterdiagnostiziert und es kommen ständig neue Fälle dazu“, resümiert Striessnig.

In der Erprobung einer Therapie greifen die Forschenden nun auf bereits existierende Medikamente zurück, die in den Mechanismus rund um die Kalziumkanäle eingreifen – allerdings ursprünglich zu einem ganz anderen Zweck: um Bluthochdruck zu behandeln. Diese „Kalziumkanalblocker“ lassen ein Molekül am Kalziumkanal andocken, das die Aufnahme des Stoffes hemmt. Die Konsequenz ist, dass die Arterien erschlaffen und Intensität und Frequenz des Herzschlags zurückgehen – damit sinkt auch der Blutdruck.

Vorsichtige Erprobung existierender Medikamente

Nun stellt sich die Frage: Können diese Medikamente auch bei den Entwicklungsstörungen eingesetzt werden, um die verstärkte Aktivität der Kalziumkanäle zu mindern? Bisherige Studien der Innsbrucker Arbeitsgruppe haben ergeben, dass die Empfindlichkeit gegenüber den Kalziumkanalblockern mit der aufgrund des Gendefekts erhöhten Aktivität zunimmt, was Striessnig zuversichtlich stimmt. Nun ist er mit seinem Team dabei, die Familien und behandelnden Ärztinnen und Ärzte der jungen Betroffenen für eine vorsichtige Erprobung des Therapieansatzes zu gewinnen. „Wir müssen uns erst an die richtigen Konzentrationen des Wirkstoffes herantasten, die die Kalziumaufnahme im richtigen Maße hemmen“, erklärt der Pharmakologe.

Doch auch wenn dieser Ansatz funktioniert, dürfe man sich keine vollständige Heilung erwarten, schickt Striessnig voraus. Was aber eintreten könnte, ist eine Abmilderung der Symptome: Epileptische Anfälle könnten seltener auftreten, die Kommunikationsfähigkeit könnte sich verbessern, vielleicht das autoaggressive Verhalten abnehmen – Fortschritte, die für Patientinnen und Patienten wie Eltern in dieser Situation enorm wichtig wären. Ein erstes Etappenziel ist nicht weit, sagt Striessnig: „Wir wollen noch im Jahr 2021 feststellen können, ob die derzeit existierenden Medikamente sicher bei den Kindern angewendet werden können.“


Zur Person

Jörg Striessnig ist Leiter des Departments für Pharmakologie und Toxikologie am Institut für Pharmazie der Universität Innsbruck. Der gebürtige Tiroler beschäftigte sich bereits in seiner Zeit als Postdoc an der Universität Innsbruck ab dem Jahr 1984 mit der Funktion von Kalziumkanälen in menschlichen Zellen. Als Visiting Assistant Professor an der University of Washington in Seattle konnte er seine Forschungen vertiefen, bevor er an die Universität Innsbruck zurückkehrte, wo er 2001 zum ordentlichen Professor berufen wurde. Das Projekt „Cav1.3-L-Typ-Kalziumkanal-Dysfunktion bei menschlichen Erkrankungen“ (2015–2021) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 440.000 Euro gefördert.


Publikationen

Hofer NT, Tuluc P, Ortner NJ et al.: Biophysical classification of a CACNA1D de novo mutation as a high-risk mutation for a severe neurodevelopmental disorder, in: Molecular Autism 2020

Pinggera A, Mackenroth L, Rump A et al.: New Gain-of-Function Mutation Shows CACNA1D as Recurrently Mutated Gene in Autism Spectrum Disorders and Epilepsy, in: Human Molecular Genetics 2017

Pinggera A, Lieb A, Benedetti B et al.: CACNA1D de novo mutations in autism spectrum disorders activate Cav1.3 L-type Ca2+ channels, in: Biological Psychiatry 2015

Zamponi GW, Striessnig J, Koschak A, Dolphin AC: The Physiology, Pathology, and Pharmacology of Voltage-Gated Calcium Channels and Their Future Therapeutic Potential, in: Pharmacological Reviews 67, 201

 


 

DGIM-Experten diskutieren über Herzstück des digitalen Gesundheitssystems

Wie verändert die elektronische Patientenakte die Arbeit in Klinik und Praxis?

Alle Behandlungsdaten sollen digital, geordnet und immer verfügbar sein: Das ist eines der Versprechen der elektronischen Patientenakte (ePA). Sie soll Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und Praxen eine umfassende Auskunft geben über die Krankheits- und Therapiegeschichte ihrer Patienten und das Zeitalter von Papieren und Akten im Gesundheitswesen beenden. Doch die Einführung der ePA stellt Kliniken und Arztpraxen auch vor neue Herausforderungen: Interne Abläufe müssen angepasst, Computer und Konnektoren auf den neuesten Stand gebracht werden. Welche weiteren Herausforderungen es gibt und wie die ePA die Arbeit von Ärzten verändern wird, diskutierten Experten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) und Vertreter der gematik GmbH beim DGIMTalk. Die DGIMTalk Sendung „Was bringt die Einführung der elektronischen Patientenakte für Klinik und Praxis?“ am Montag, den 29. März 2021.

Seit Beginn des Jahres können mehr als 73 Millionen gesetzlich Versicherte die elektronische Patientenakte (ePA) bei ihrer Krankenkasse beantragen. In der ePA können Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten oder Apotheker Daten zu Untersuchungen und Behandlungen digital speichern und abrufen. „Wenn Patienten erstmals oder mit einer Überweisung zu uns in die Klinik oder in eine neue Arztpraxis kommen, haben die Kolleginnen und Kollegen bislang nur einen sehr beschränkten Einblick in ihre Krankengeschichte“, sagt Professor Dr. med. Sebastian Schellong, Vorsitzender der DGIM. Hier könne die ePA sinnvoll Abhilfe schaffen, so der Chefarzt der zweiten Medizinischen Klinik am Städtischen Klinikum Dresden. Denn sie soll die Dokumentation erleichtern, Befunde und Untersuchungsergebnisse jederzeit auf einen Blick verfügbar machen sowie Ärztinnen und Ärzten ein umfangreiches Bild von der Krankheitsgeschichte ihrer Patienten vermitteln. „Wenn wir genau wissen, welche Untersuchungen der überweisende Arzt bereits durchgeführt hat und die Ergebnisse einsehen können, kann die die elektronische Patientenakte dazu beitragen, unnötige Mehrfachbehandlungen zu vermeiden“, sagt Schellong.

Doch die Einführung der ePA ist für Arztpraxen und Kliniken auch mit einigen administrativen Aufwände verbunden. Die Computer, Praxisverwaltungssysteme und Konnektoren für den Datenaustausch müssen auf den neuesten Stand gebracht und die Anwender im Umgang damit geschult werden. „Wenn wir von digitaler Transformation sprechen, sollte das System auch intuitiv nutzbar sein. Das ist bislang leider noch nicht der Fall“, sagt Dr. Marcel Schorrlepp, Sprecher der DGIM-Arbeitsgruppe Hausärztliche Internisten aus Mainz. Wie die Handhabung im Regelbetrieb funktioniere, lasse sich derzeit allerdings noch nicht beurteilen, auch weil bislang kaum Nachfrage auf Seiten der Patienten bestehe, so der Mainzer Hausarzt.

Ab 2022 sollen neben Untersuchungsdaten auch Medikamentenpläne, der Impfpass, das Kinderuntersuchungsheft, der Mutterpass oder auch das Zahnbonusheft in die ePA gespeichert werden. „Wir müssen abwarten, ob sich die Masse an Informationen auf der ePA dann noch praktisch handhaben lassen wird“, zeigt sich Schorrlepp skeptisch. Damit die digitale Akte für Ärzte in Praxen und Kliniken einen realen Mehrwert darstelle, müsse die Bedienung des Systems noch intuitiver gestaltet und der Support seitens der Anbieter verbessert werden, fordert der Experte „Nur dann kann die ePA unsere Arbeit tatsächlich erleichtern und einen wichtigen Schritt in Richtung eines digitalen Gesundheitssystems darstellen“, so Schorrlepp abschließend.

Weitere Info über die Sendung: DGIM-Experten diskutieren über Herzstück des digitalen Gesundheitssystems unter www.dgim.de