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durch Klaus Lenser

Verunreinigungen im AstraZeneca-Impfstoff gefunden

Universität Ulm

Proteine könnten Qualität des Vakzins beeinträchtigen

Ulmer Forschende haben Verunreinigungen im COVID-Impfstoff des Pharmakonzerns AstraZeneca nachgewiesen. Konkret geht es um menschliche und virale Eiweiße – darunter insbesondere so genannte Hitzeschock-Proteine. Ob diese Verunreinigungen die Wirksamkeit des Impfstoffs beeinflussen oder mit Impfreaktionen zusammenhängen, kann die Studie nicht beantworten. Die zunächst auf einem Preprint-Server erschienenen Ergebnisse geben allerdings Hinweise, wie der Pharmakonzern seine Herstellungs- und Qualitätssicherungsprozesse optimieren kann. Die Studie durchläuft derzeit ein Review-Verfahren bei einem anerkannten Fachjournal.

Bei dem Vakzin „Vaxzevria“ des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca handelt es sich um einen so genannten Vektorimpfstoff. Als Vektor dient ein für Menschen ungefährliches Adenovirus: Diese „Genfähre“ schleust ein Oberflächeneiweiß des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) in die körpereigenen Zellen. Im Zuge der darauf folgenden Immunreaktion werden Antikörper gebildet, die Impflinge gegen COVID-19 schützen sollen. Kurze Zeit nach der Immunisierung mit „Vaxzevria“ (ChAdOx1 nCoV-19) treten bei Impflingen relativ häufig grippeähnliche Symptome als Impfreaktion auf; in sehr seltenen Fällen entwickelten vor allem jüngere Frauen bis zu 16 Tage nach der Impfung lebensbedrohliche Sinusvenenthrombosen.
Vor diesem Hintergrund haben Forschende um Professor Stefan Kochanek, Leiter der Abteilung Gentherapie der Ulmer Universitätsmedizin, drei Chargen des AstraZeneca-Impfstoffs mit biochemischen Methoden und Proteomanalysen untersucht. Neben Proteinen des adenoviralen Vakzins selbst fanden sie beträchtliche Mengen menschlicher Proteine und auch regulatorischer viraler Proteine, die nicht Teil des Impfstoffs sind.

Um diese Verunreinigungen aufzuspüren, haben die Studienautorinnen und -autoren unter anderem mit Proteingelen und Silberfärbungen gearbeitet: Konkret verglichen sie die Färbemuster der AstraZeneca-Proben mit denen eines laboreigenen Vergleichsvektors (HAdV-C5-EGFP), der mittels Ultrazentrifugation aufgereinigt worden war. „Das Bandenmuster im Proteingel hat sich in den beiden Proben deutlich unterschieden: Im Vergleich zu dem eigenen Adenovirus-Vektor wiesen die AstraZeneca-Proben deutlich mehr Proteinbanden auf, die nicht durch den adenoviralen Impfstoff erklärbar waren“, erläutert Professor Kochanek. Daraufhin wurde zunächst der Proteingehalt der Vaxzevria-Impfstoffchargen bestimmt – mit eindeutigem Ergebnis. Der Proteingehalt pro Impfdosis lag deutlich über den theoretisch zu erwartenden 12,5 µg – und in einer genauer untersuchten Charge betrug er sogar 32 µg.

Über 1000 Proteine in den Chargen gefunden

Doch welche Proteine sind in dem AstraZeneca-Impfstoff in größerer Menge vorhanden? Um diese Frage zu beantworten, wurden massenspektrometrische Untersuchungen durchgeführt. Im Ergebnis war mindestens die Hälfte der Eiweiße menschlichen Ursprungs. Unter den humanen Proteinen, die aus der menschlichen Zelllinie zur Vektorproduktion stammen, fiel insbesondere die Häufung so genannter Hitzeschockproteine auf. „Insgesamt haben wir über 1000 Proteine in den Chargen detektiert: Die Mehrzahl dürfte keine negativen Auswirkungen auf Impflinge haben. Extrazelluläre Hitzeschockproteine sind jedoch bekannt dafür, dass sie angeborene und erworbene Immunantworten modulieren und bestehende Entzündungsreaktionen verstärken können. Sie wurden zudem auch schon mit Autoimmunreaktionen in Verbindung gebracht“, erklärt Professor Kochanek. In weiteren Studien muss untersucht werden, inwiefern diese Protein-Verunreinigungen die Wirksamkeit des Vakzins mindern oder mit der oftmals starken Impfreaktion zeitnah nach der Injektion des Impfstoffes in den Muskel zusammenhängen könnten.

In der Pharmaindustrie gilt die möglichst weitgehende Entfernung solcher Verunreinigungen aus biotechnologisch hergestellten therapeutischen Proteinen als ein sehr wichtiges Qualitätsmerkmal. Im Fall des adenoviralen COVID-Impfstoffs von AstraZeneca reicht die Kontrolle mit den bisher verwendeten Standard-Nachweisverfahren offenbar nicht aus. Die Ulmer Forschenden empfehlen ergänzende Methoden wie Gel- und Kapillarelektrophoresen sowie massenspektrometrische Untersuchungen. „Die Vielzahl der gefundenen Verunreinigungen, von denen zumindest einige negative Effekte haben könnten, macht es nötig, den Herstellungsprozess und die Qualitätskontrolle des Impfstoffs zu überarbeiten. Dadurch ließe sich neben der Sicherheit womöglich auch die Wirksamkeit des Vakzins erhöhen“, so Professor Kochanek.

Lea Krutzke, Reinhild Rösler, Sebastian Wiese, Stefan Kochanek: Process-related impurities in the ChAdOx1 nCov-19 vaccine. Preprint- Research Square. DOI: 10.21203/rs.3.rs-477964/v1
https://www.researchsquare.com/article/rs-477964/v1


Neue Muskeln für die Blase: Klinische Studie prüft Stammzelltherapie gegen angeborene Inkontinenz

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Pressemitteilung des BIH und der Charité gemeinsam mit dem MDC

Etwa sieben Jungen werden jedes Jahr in Deutschland geboren, deren Harnröhre und Blasenschließmuskel unvollständig ausgebildet sind. Trotz komplizierter Operation bleiben die sonst gesunden Kinder oft ihr Leben lang inkontinent. In einer klinischen Studie wollen Forschende vom ECRC, dem gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), nun prüfen, ob den Kindern mithilfe einer Transplantation ihrer eigenen Muskelstammzellen in den Schließmuskel geholfen werden kann. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert die Studie mit rund 3,3 Millionen Euro. Das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité hat das Vorhaben mit seinem Spark-BIH-Programm auf dem Weg vom Labor in die Klinik mit einer Million Euro unterstützt.

Über 8.000 verschiedene Seltene Erkrankungen sind bekannt, über 30 Millionen Menschen sind allein in Europa betroffen. Therapien für diese meist noch nicht behandelbaren Krankheiten zu entwickeln, ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und damit Herausforderung für die Forschung. Die Epispadie ist eine davon. Hier führt eine vorgeburtliche Entwicklungsstörung zu einer abnormalen Lage und Spaltbildung der Harnröhre und einem unvollständig ausgebildeten Blasenschließmuskel. Nur etwa sieben Jungen und noch weniger Mädchen werden jedes Jahr in Deutschland mit dieser Besonderheit geboren. Sie ist mit einem hohen Leidensdruck verbunden: denn die von außen sichtbare Fehlbildung kann man mit einer Operation beheben, das gelingt aber leider beim Blasenschließmuskel nicht so einfach. „Daher sind diese Kinder oft lebenslang inkontinent, was mit einer hohen psychologischen Belastung für die Betroffenen und deren Familien einhergeht“, erklärt Prof. Dr. Simone Spuler vom ECRC, Spezialistin für Stammzell- und Muskelforschung. „Wir haben deshalb überlegt, wie wir ihnen mit unserer Expertise helfen können.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Spuler hatten eine Methode entwickelt, mit der sie regenerationsfähige Muskelstammzellen aus Muskelgewebe isolieren können. „Wir nehmen eine Gewebeprobe, eine Biopsie, aus dem Oberschenkel und isolieren daraus Muskelstammzellen. Diese vermehren wir anschließend auf ein Vielfaches und spritzen sie direkt in die Defektstelle des Blasenschließmuskels.“ Bei Ratten führte das tatsächlich dazu, dass sich ein neuer Schließmuskel bildete, der auch funktionstüchtig war. Da deren verändertes Immunsystem menschliche Zellen tolerierte, gelang dies auch mit menschlichen Muskelstammzellen.

„Doch trotz dieser ermutigenden Ergebnisse konnten wir nicht sofort eine klinische Studie mit Betroffenen beginnen“, erklärt die Medizinerin. „Denn die Vorschriften sind streng. Nur Zellen, die in einem pharmazeutischen Herstellungsverfahren, der sogennanten „good manufacturing practice“ – kurz GMP – produziert werden, dürfen im Menschen angewandt werden. Dieses Verfahren aufzusetzen ist sehr anspruchsvoll.“ Die unter GMP-Bedingungen hergestellten Zellen werden für die präklinischen Sicherheitsprüfungen zunächst im Tiermodell eingesetzt. Die Auflagen der Zulassungsbehörden, in Deutschland des Paul-Ehrlich-Instituts, verlangen, dass nur speziell dafür akkreditierte Labore die Tierversuche für eine klinische Studie durchführen dürfen. Der Fachbegriff ist „good laboratory practice“ – GLP-Bedingungen. Auf der Suche nach einem GLP-Labor, das gleichzeitig über mikrochirurgische Fähigkeiten verfügte, mit denen sich die Muskelstammzellen in den Blasenschließmuskel von Ratten übertragen lassen, wurden die Forschenden in den USA fündig: „Ungefähr 300 Kilometer östlich von Chicago, mitten in Michigan, gab es ein solches Labor“, berichtet Prof. Spuler. „Um den dortigen Kollegen genau zu erklären, was wir planen, mussten wir mehrmals in die USA reisen. Die Vorbereitungen, die erforderliche Einarbeitungszeit und die Durchführung der Versuche waren unglaublich zeit- und kostenintensiv. Das hätten wir ohne die Unterstützung durch das BIH-Spark-Programm nicht geschafft!“

Eine Million Euro stellte das BIH dem Forschungsteam um Prof. Spuler zur Verfügung. „Genau dies ist unser Anliegen“, erklärt Prof. Dr. Christopher Baum, Vorsitzender des BIH-Direktoriums und Vorstand für den Translationsforschungsbereich der Charité. „Wir wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützen, ihre Ergebnisse aus dem Labor zu den Patientinnen und Patienten zu bringen und damit die medizinische Translation fördern. Damit erreichen wir, dass aus Forschung Gesundheit wird.“ Dr. Tanja Rosenmund, die Leiterin des BIH-Spark-Programms freut sich ebenfalls. „Das Projekt für die Epispadie ist deshalb so spannend, weil es – falls es gelingt – viele weitere Möglichkeiten eröffnet: Inkontinenz ist ja ein weit verbreitetes Problem und Muskelschwäche ohnehin. Wir hoffen deshalb, mit dieser Förderung möglichst vielen weiteren Studien den Weg zu ebnen.“

Nachdem die Ergebnisse in den USA gezeigt hatten, dass die transplantierten Muskelstammzellen die Inkontinenz bei den Ratten beheben konnte und die Sicherheit des Zellproduktes bestmöglich bestätigt werden konnte, steht nun der klinischen Studie nichts mehr im Weg: 21 betroffene Jungen im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren sollen an den Universitätskliniken Ulm und Regensburg behandelt werden. Dort leiten Prof. Dr. Anne-Karoline Ebert und Prof. Dr. Wolfgang Rösch Zentren für Kinderurologie. Die Studie ist Placebo-kontrolliert, randomisiert und doppelt verblindet geplant. Das bedeutet, dass zufällig ausgewählte fünf der 21 Jungen ein Placebo (Kochsalzlösung) statt ihrer eigenen Muskelstammzellen erhalten. Weder Behandelnde noch Patientinnen und Patienten wissen bis zum Ende der Studie, wer diese fünf waren. „Das müssen wir tun, um wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse zu erhalten“, erklärt Prof. Spuler. „Wenn sich nach der Datenanalyse zeigt, dass es den Kindern nach der Zellinjektion besser geht als denen, die das Placebo erhalten haben, besteht natürlich die Möglichkeit, die Zellinjektion nachzuholen. Das ist möglich, da sich die isolierten Muskelstammzellen problemlos tiefgekühlt aufbewahren lassen.“ In wenigen Monaten soll der erste Patient behandelt werden.

Links:

Experimental and Clinical Research Center (ECRC)


Wie Retroviren ansteckend werden

Institut of Science and Technology Austria (IST Austria)

Wissenschaftler am IST Austria entdecken, wie sich das mit HIV verwandte Rous-SarkomVirus zusammensetzt und treiben so die Virusforschung voran.

Um Viren besser bekämpfen zu können, ist es wichtig, jeden Schritt in ihrem Lebenszyklus zu verstehen. Wissenschaftler am Institute of Science and Technology (IST) Austria konnten nun zeigen, wie ein Virus aus der Familie der Retroviren, zu der auch das HI-Virus gehört, seine genetische Information schützt und infektiös wird. Außerdem zeigen sie, dass das Virus deutlich flexibler ist als gedacht. Ihre Studie ist soeben im Magazin Nature Communications erschienen.

Viren sind perfekte molekulare Maschinen. Ihr einziges Ziel ist es, ihr Erbgut in gesunde Zellen einzuschleusen und sich so zu vermehren. Mit tödlicher Präzision können sie dadurch Krankheiten verursachen, die Millionen von Menschenleben kosten und die Welt in Atem halten. Ein Beispiel für ein solches Virus, das jedoch zurzeit weniger Beachtung findet, ist HIV. Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren starben in der andauernden globalen AIDS-Epidemie allein im Jahr 2019 690.000 Menschen an den Folgen der Virusinfektion. „Wenn man den Feind kennen will, muss man alle seine Freunde kennen”, sagt Martin Obr, Postdoc in der Schur-Gruppe am IST Austria. Gemeinsam mit seinen Kolleg_innen erforscht er deshalb ein Virus, das zur gleichen Familie wie HIV gehört – das Rous-Sarkom-Virus, das bei Geflügel Krebs verursacht. Mit Hilfe des Virus konnte er nun zeigen, wie wichtig ein kleines Molekül für den Aufbau dieser Art von Viren ist.

Den Bauplan schützen

In ihrer Studie, die soeben im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde, hat sich das Team gemeinsam mit Kolleg_innen der Cornell University und der University of Missouri auf die späte Phase der Vermehrung von Retroviren konzentriert. „Es ist ein weiter Weg von einer infizierten Zelle bis zum reifen Viruspartikel, das eine andere Zelle infizieren kann“, erklärt Erstautor Martin Obr. Wenn sich ein neues Viruspartikel aus einer Zelle löst, ist es vorerst noch unreif, also nicht infektiös. Anschließend bildet es eine Schutzhülle, ein sogenanntes Kapsid, um seine genetische Information und wird infektiös. Diese Schutzhülle besteht aus einem Protein, das in Hexamere und einigen Pentamere gegliedert ist. Das Team entdeckte, dass ein kleines Molekül namens IP6 entscheidend ist, um diese Proteinhülle im Rous-Sarkom-Virus zu stabilisieren.

„Ist die Schutzhülle nicht stabil, könnte die genetische Information des Virus vorzeitig entweichen und zerstört werden, ist sie aber zu stabil, kann das Genom gar nicht austreten und wird somit nutzlos”, so Assistenzprofessor Florian Schur. In einer früheren Studie konnten er und seine Kolleg_innen nachweisen, dass IP6 bedeutend für den Aufbau von HIV ist. Nun hat das Team gezeigt, dass es auch in anderen Retroviren eine Rolle spielt und somit überaus wichtig im Lebenszyklus dieser Viren ist. „Wenn man ein Auto baut, gibt es viele große Metallteile, wie die Motorhaube, das Dach und die Türen, und es gibt die Schrauben, die alles verbinden. In unserem Fall sind die großen Teile die Kapsidproteine und die IP6-Moleküle sind die Schrauben”, sagt Obr.

Unerwartet vielseitig

Um die Viren im Detail betrachten zu können, entwickelte Martin Obr die Kryo-Elektronentomographie weiter – eine Technik, die es Forschenden erlaubt, sehr kleine Proben in ihrem natürlichen Zustand zu betrachten. So konnte das Team sehen, wie vielseitig die Formen sind, die die Kapsidproteine einnehmen. „Nun fragen wir uns: Warum verändert das Virus die Form seines Kapsids? Woran passt es sich an?“, so Postdoc Martin Obr. Unterschiedliche Kapsidformen innerhalb desselben Virustyps könnten darauf hinweisen, dass nicht alle Viruspartikel gleich ansteckend sind. „Was auch immer geschieht, hat einem Grund, aber es gibt noch keine klare Antwort”, sagt Florian Schur. Die Weiterentwicklung der Technik, um diesen hochoptimierten Erregern auf den Grund zu gehen, bleibt für die Wissenschafter eine herausfordernde und faszinierende Aufgabe.

Publikation:

Martin Obr, Florian K. M. Schur et al. 2021. Structure of the mature Rous sarcoma virus lattice reveals a role for IP6 in the formation of the capsid hexamer. Nature Commmunications. DOI: 10.1038/s41467-021-23506-0

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde mit Mitteln des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF an Florian K. M. Schur finanziert.