Home Allgemein intensiv I unkonventionell I selbstbewusst

intensiv I unkonventionell I selbstbewusst

 Lukas Jakobi im Intensiū Hilden – Newcomer des Jahres im Gusto und zwei rote Hauben im Gault&Millau

durch Klaus Lenser
Restaurant Intensiu

Dr. Alexander Pohlmann

Seit der Gusto Gourmetführer im September Lukas Jakobi zum Newcomer des Jahres kürte, kann sich das Intensiū in Hilden über zu wenig Aufmerksamkeit nicht beklagen.

Obwohl erst in diesem Jahr eröffnet, kann das Intensiū im Hotel Monopol schon auf eine lange Geschichte zurückblicken, die auf die Großeltern des Gastgebers und Inhabers Kristjan Bratec zurückgeht. 1972 beginnen Bratecs Großeltern den Hotelbetrieb mit integrierter Gastronomie. 16 Jahre lang war es zuletzt verpachtet, doch Enkel Bratec hatte immer das Ziel vor Augen seinen Familienbetrieb zu übernehmen und sammelte Erfahrungen in einer der weltweit größten Hotelketten. Vor einigen Jahren lernte er in der Düsseldorfer Gastronomieszene Lukas Jakobi kennen, man freundete sich an. Jakobi hat sich schon immer der Sternegastronomie verschrieben, seine Ausbildung beginnt er im einstigen Sternerestaurant „Victorian“. Es folgen Stationen im „Agata’s“ und den 3-Sterne-Restaurants „De Librije“ und „Victor‘s Fine Dining by Christian Bau“, bevor er als Sous-Chef im Düsseldorfer „Nagaya“ tätig wird.

2021 wagt Bratec den Schritt in die Selbstständigkeit, nimmt einen Kredit auf und renoviert die Räumlichkeiten. 2022 dann die Eröffnung und schon bald folgt die erste Auszeichnung mit zwei roten Hauben im Gault&Millau.

Lukas Jakobi, sympathisch und energiegeladen
Lukas Jakobi, sympathisch und energiegeladen

Das Konzept: kein Konzept

Bratec hat das umgesetzt, was er in den letzten 10 Jahren Hotellerie für richtig erachtet hat, ein Konzept verfolgt man bewusst nicht: „Am Ende des Tages haben wir gar kein Konzept. Das ist hier einfach wie wir sind“, erläutert er.

Mit „hier“ meint er Hilden. Hilden liegt zwischen Düsseldorf, Wuppertal und Solingen. Vom Düsseldorfer Hauptbahnhof braucht man nur 12 min mit der Bahn und ist fast im Intensiū, denn das Restaurant befindet sich direkt gegenüber von dem kleinen Hildener Bahnhof. Das Hotel Monopol ist bewusst vom Intensiū namentlich abgegrenzt, es hat eher einen funktionalen Charakter: „Das Hotel war schon immer ein Budget Hotel. Die Nachfrage für was anderes ist in Hilden nicht gegeben“, so Bratec. „Du kannst aus einem Corsa keinen Ferrari machen, aber mit viel Liebe und Zeit einen gepflegten Corsa“. Das hat man mit dem Hotel Monopol erreicht, die Auslastung ist gut, das Haus verfügt über 22 Zimmer und wird hauptsächlich von Geschäftsreisenden unter der Woche besucht.

Opa Bratec ist allgegenwertig

Betritt man das Intensiū, so nimmt der Gast direkt die dunkle Wandfarbe und das große Graffiti wahr, der Gastraum wirkt nicht dunkel, sondern gemütlich. Bratecs Großvater wurde als metergroßes Porträt aus jungen Jahren von einem Graffitikünstler an der Wand verewigt. Leider ist er vor drei Jahren verstorben, doch Oma Bratec ist regelmäßig zu Gast und hat jedes Menü gegessen. Doch mit der Musik wird sie nicht warm, es laufen die 90er und Hip-Hop. „Mich haben immer viele Sachen aufgeregt, wie z. B. Aufzugsmusik oder Klaviermusik im Restaurant. Weder die Mitarbeiter noch die Gäste hören so etwas
privat“.

Der Gast merkt direkt, hier geht es im positiven Sinne locker zu. „Wir duzen alle Gäste, egal wie alt sie sind. Außer vier ältere Damen aus Hilden, die wollen nicht geduzt werden, aber das ist ok“, so Bratec.

Graffiti von Kristjan Bratecs Opa, der jahrelang Hotel und Restaurant betrieb
Graffiti von Kristjan Bratecs Opa, der jahrelang Hotel und Restaurant betrieb

„Alles ist sehr intensiv“

„Bei uns ist alles sehr intensiv, der Geschmack, der Laden, der Service. Wir machen viel Blödsinn“, bekunden Jakobi und Bratec. Intensiv ist auch der Prolog des Menüs, das im sogenannten „statement“ u. a. mit einem prägenden Thai-Curry-Espuma, fermentiertem und gegrilltem Wirsing mit Sesamöl schon die südostasiatischen Einflüsse und das im Nagaya gelernte japanische Handwerk offenbart. Doch noch viel beeindruckender ist der zweite Teil des Prologs, der auf der Karte als „taste the waste“ tituliert wird und Grundbestandteil eines jeden Menüs im Intensiū ist. Hierzu werden Abschnitte, die bei der Zubereitung des Menüs anfallen, kreativ verwertet, um Küchenabfälle zu minimieren. So finden sich im „taste the waste“ Gang beispielsweise ein Lachshautcracker oder ein Lachsbauch, als eine Art Asia-Brathering interpretiert. Auch Ochsenbacken-Abschnitte oder die Gräten eines Räucheraals werden für eine Creme verwendet. „Wir machen unser Kimchi selbst und fermentieren viel“, berichtet Jakobi. Auch das Pickeln kommt nicht zu kurz, wie bei der Roten Bete beim „taste the waste“. Zero Waste ist für die beiden eine Selbstverständlichkeit: „Es gibt nichts Schlimmeres, als Lebensmittel wegzuwerfen“, so Jakobi.

Die südostasiatischen Einflüsse sind unbestritten: Algen mit Kimchi, Tomburi und Kaffir-Limette
Die südostasiatischen Einflüsse sind unbestritten: Algen mit Kimchi, Tomburi und Kaffir-Limette

Keine leeren Worte, das Essen muss überzeugen

Doch es wird explizit nicht mit Nachhaltigkeit und Regionalität geworben: „Wir wollen die Leute nicht mit irgendeinem Gerede zu uns locken“, so Bratec. Dabei gibt es von Beginn an ein rein veganes Menü im Intensiū. Der Gast hat die Wahl zwischen zwei Menüs, die als „intensiu“ und „vegan“ bezeichnet werden und aus 4- oder 6-Gängen bestehen können. In Bratecs Familie gibt es viele Veganer und Vegetarier und so kam die Idee zum veganen Menü. Die beiden gestehen, dass dies mittlerweile auch ein gutes Werbemittel ist und sich rumgesprochen hat. „Gleichzeitig haben wir 95 % aller Allergien mit dem veganen Menü abgedeckt“, sieht Jakobi weitere Vorteile.

Das Menü wird mit einem klassischen Gang namens „Brot & Soße“ eingeleitet. Klassisch? Nicht wirklich! Denn Jakobi serviert hier ein Sandwich aus dem extra angeschafften Sandwichtoaster. Gefüllt ist das Sandwich mit einem Comté-Schmelzkäse, Kimchi, Brotmiso als Mayonnaisen-Ersatz und selbst hergestelltem Ketchup, getoppt mit gepickelten Gurken, Radieschen und fermentierter und gedörrter Birne. Ein aufregenderes Sandwich gibt es wohl nur selten zu essen. Gleichzeitig zeigt es den Mut, mit dem Jakobi kocht. Doch er streitet ab, dies sei kein Mut „ich koche, worauf ich Bock ab, ich werde mich nicht für Bewertungen ändern“.

„Jeder kennt´s, aber eben doch nicht“, Lukas Jakobi

Er mag vor allem die Gerichte, die jeder zu kennen glaubt. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch das Menü. Die Gänge tragen Namen wie „Königs Klops“, „not your granny’s roulade“ oder ganz simpel „Ochsenbacke“.

Das Intensiū ist eine Mischung aus bodenständig und unkonventionell. Der König Klops ist das Lieblingsgericht aus Jakobis Kindheit. Er hat ihn mit Räucheraal, Zander und Kalbshack neu interpretiert und zu einer sehr gleichmäßigen Textur mit gutem Biss und Saftigkeit verarbeitet. Der Klops wird durch ein getrocknetes Rote Bete-Tatar und ein Kapern-Rosinen-Chutney begleitet und durch eine Sauce auf Basis des Klops-Kochwassers abgerundet. Die Sauce wurde jedoch für eine dezente Säure mit Joghurt emulgiert und nicht mit Butter. Mit einer mit Räucheraalöl und Nussbutter aromatisierten Pankokruste wurde der Klops schließlich getoppt. Ein Gang mit unheimlicher aromatischer Tiefe.

not your granny’s roulade aus Wagyu mit Rotkohl, Marone und Preiselbeere
not your granny’s roulade aus Wagyu mit Rotkohl, Marone und Preiselbeere

not your granny’s roulade

Auch die Roulade wurde überraschenderweise nicht nach Hausfrauen-Art zubereitet, sondern ein Bürgermeisterstück vom deutschen Wagyu-Rind über Nacht bei 50 °C gegart, dünn aufgeschnitten und mit Nussbutter, Shirodashi, Schmorzwiebeln, sauren Gurken und mit Himbeeressig gepickeltem Rotkohl gefüllt. Ergänzt wird sie mit Kombucha fermentierten Cranberrys. Die Roulade sitzt auf einer Maronen-Ceviche, die wunderbar texturbringend ist. Dazu passen gut die fruchtig/sauren fermentierten Preiselbeeren und ein sehr würziger Rouladenjus. Am Tisch wird aus einer kleinen Stielkasserolle ein ebenso intensives Rotkohl-Espuma hinzugegeben. Textur, Geschmack und Anrichten überzeugen. Die vegane Variante der Kohlroulade setzt sich aus einem scharf in Sesamöl angebratenem und zuvor blanchierten Wirsingblatt zusammen und ist mit einer geräucherten Creme aus Sojamilch, Räucheröl, Schmorzwiebeln, sauren Gurken und gepickeltem Rotkohl gefüllt. Die Roulade überzeugt ebenso wie die fleischige Variante. Jakobis Gerichte haben eine intensive Würze, oft auch etwas Schärfe und Salzigkeit, jedoch ohne über das Ziel hinauszuschießen. „Wir machen schon sehr viel umami und immer etwas spicy“, weiß Jakobi.

Sommelier Christian Pufahl und die deutschen Weine

Wer dazu einen tanninreichen Rotwein erwartet, wird vom Gegenteil überrascht. Sommelier Christian Pufahl hat einen 2021er Rosé von Wagner von Wohlgemuthheim ausgesucht, eine Cuvée aus 50 % Dornfelder und 50 % Pinot Noir, der sieben Monate ausgebaut und unfiltriert abgefüllt wurde. Ein wahrlicher Kontrast, der zeigt, dass Dornfelder oft zu Unrecht bei Weinkennern verschrien ist. Pufahl hat sich gemeinsam mit Bratec, der auch ausgebildeter Sommelier ist, den deutschen Weinen verschrieben. Die gesamte Weinkarte ist mit deutschen Weinen versehen. „Wir haben in Deutschland so geile Weingüter und uns ist es sehr wichtig, dass wir die Winzer kennen und dadurch kann man die Weine auch viel besser verkaufen“, erklärt Sommelier Pufahl. 80 % der Weine werden von den Winzern direkt bezogen. Pufahl hat Erfahrung im Dortmunder Grammons und im Restaurant zur Krone in der Pfalz gesammelt und überzeugt mit seiner freundlich charmanten Art. So ist es für Pufahl wichtiger, dem Gast immer auch etwas zum Weingut und der Geschichte hinter dem Wein zu erzählen, statt blumig den Geschmack zu beschreiben.

Sommelier Christian Pufahl
Sommelier Christian Pufahl

Geschlechtsdifferente Desserts, ein neuer Trend?

Interessant bleibt es beim Dessert. Dem männlichen Gast wird ein Frauenkörper bestehend aus einer Kürbis-Ganache aus weißer Schokolade und Vanille serviert. Der Körper des Mannes für den weiblichen Gast unterscheidet sich folgerichtig auch geschmacklich. Hier besteht die Kürbisganache aus dunkler, mit Ingwer, aromatisierter Schokolade und Mate. Auch die übrigen Komponenten des Desserts sind gänzlich verschieden, so gibt es für den Herrn beispielsweise ein Mate-Bergamotten-Eis mit einem Crumble aus Kreuzkümmel und Oregano und für die Dame ein Zimt-Schmand-Eis mit einem Kaffee-Gewürzcrumble. Das Dessert ist definitiv ein Highlight des Menüs und lässt unweigerlich die Frage nach dem Patissier aufkommen.

Dessertvariation für den Herrn
Dessertvariation für den Herrn

Power-Duo in der Küche: Lukas Jakobi und Jonas Heggemann

Jakobi winkt ab und wir trauen unseren Ohren nicht, er arbeite mit dem Jungkoch Jonas Heggemann allein in der Küche, nur unterstützt durch eine Spülkraft. „Ich bin eine scheiß Maschine“, platzt es aus ihm heraus, „ganz ehrlich? Wir laufen mit zwei Köchen besser als mit dreien“, überrascht uns Jakobi. Sein Anspruch sei sehr hoch und den könne er zu zweit besser kontrollieren, ohnehin arbeite er sehr viel.
Ungewöhnlich fällt auch der optionale Käsegang aus, bestehend u. a. aus einem Wirsingsalat, Curry-Dressing und Käse-espuma. Proportionen und Feinabstimmung passen perfekt, es besteht Suchtgefahr. Jakobi verspricht uns das Rezept zum Nachkochen. Würde das Intensiū im März 2023 keinen Stern erhalten, wären wir überrascht und auch Jakobi gibt sich selbstbewusst: „die Definition von 2 Sternen ist eine eigene Handschrift, da würde ich behaupten, dass ich die schon für mein junges Alter habe“, betont aber gleichzeitig, dass zwei Sterne zum Start natürlich unrealistisch seien. Wir sind uns sicher, von Kristjan Bratec und Lukas Jakobi wird man in Zukunft noch viel mehr hören.

Fotos: Dr. Alexander Pohlmann, Intensiu Hilden, Sven Arnold

Hotel Monopol / Restaurant intensiu
Poststr. 42
40721 Hilden
Tel.: +49 (0) 2103 54745
E-Mail: info@monopol-intensiu.de
www.monopol-intensiu.de

„Hommage ans alte Holland“ von Lukas Jakobi