Genießertreff in Wenningstedt / Sylt
Meerumschlungen liegt die 38 km lange und mit gut 99 km² größte der nordfriesischen Insel zwischen Föhr und Amrum. Endlose Spaziergänge am feinsandigen Strand und Badespaß in den Nordseewellen bietet die Westseite von Sylt. Im Osten liegt das Naturschutzparadies Watt, dass seit 2009 zum UNESCO Weltnaturerbe zählt. Über das Watt führt auch der 1927 erbaute Hindenburgdamm, der von der DB Netz AG betrieben wird. Seit gut 90 Jahren transportiert die Deutsche Bahn Millionen von Autos und Gästen über die ertragreiche 8,1 km lange Trasse.
Es ist dem Sylter Sternekoch Jörg Müller zu verdanken, dass seine Schwester Verena und ihr Mann Manfred Fitschen im April 1989 auf die Insel kamen und geblieben sind. Der Niedersachse Manfred Fitschen ist in der Landwirtschaft bei Rothenburg an der Wümme groß geworden: „Ich habe den Beruf des Kochs im Fährhaus Lühe unter Küchenchef Wolf-Dieter Klunker erlernt, der später zusammen mit Rüdiger Kowalke für Furore im Hamburger ‚Fischereihafen Restaurant‘ sorgte.“ Auf seiner Station in der Schweiz am Genfer See lernte er die Hotelfachfrau Verena Müller kennen. Zusammen arbeiteten sie eine Sommersaison an der Côte d’Azur. Sie stammt aus einer kinderreichen Gastronomiefamilie im Schwarzwald. „Mein Vater führte das ‚Restaurant Lug ins Land‘ im Pachtbetrieb und ich wuchs mit sechs Geschwistern quasi zwischen Tisch und Herd auf. Mein Bruder Reinhard ist in die Industrie gegangen, die anderen sind mit dem Gastgewerbe-Gen infiziert“, erzählt Verena Fitschen. Ihre Brüder Jörg (2 Sterne) und Dieter Müller (3 Sterne) haben die deutsche Top-Küche entscheidend mitgeprägt.
Weihnachten 1988 fragte Jörg Müller seinen Schwager, ob er das Restaurant ‚Moby Dick‘ in Munkmarsch auf Sylt bewirtschaften möchte. „Ich habe mir das Restaurant angeschaut und im April sind wir schon auf die Insel gezogen. Jörgs Deal war für uns ohne Risiko: Wir sollten fünf Jahre für ihn arbeiten und danach das Restaurant ‚Moby Dick‘ in eigener Verantwortung bewirtschaften“, berichtet Manfred Fitschen.
Nach 16 Jahren Wattblick wechselte die Familie 2005 auf die Seeseite, kaufte das ‚Hinkfuß am Dorfteich‘ in Wenningstedt und entwickelte daraus das ‚Fitschen am Dorfteich‘. Ehepaar Fitschen zog neben dem Hotel und Restaurant vier Kinder groß. „Unsere Töchter Claudia und Sonja sind in der Gastronomie geblieben und übernehmen jetzt unsere Nachfolge. Claudia ist für das Restaurant und Sonja für das Hotel und Marketing zuständig.
Da sie in Kürze ihr zweites Baby erwartet, müssen wir noch ein wenig unser Rentnerdasein verschieben“, sagt Verena Fitschen lachend und freut sich auf das achte Enkelkind. „Unser Sohn Erik wollte mal eine Brasserie eröffnen, ist dann aber Innenarchitekt in Hamburg geworden. Und Tochter Katharina lebt in Augsburg als erfolgreiche Steuerberaterin“, ergänzt ihr Ehemann. Er leitet gerade die Übergabe der Küche an seinen Schwiegersohn Cristian Pisacane aus Sizilien ein. Die gutbürgerliche Küche mit frischen Produkten aus der Region wie Fisch, Lamm und Weiderind wird ergänzt durch aromatische, mediterrane Gerichte.
Für die Kinder hat das Ehepaar Fitschen in den letzten zwei Jahren kräftig in den Betrieb investiert. Seit Mitte 2020 komplettiert ein Wintergarten mit 20 Plätzen das Restaurant und sorgt für Flexibilität. Den zweiten Lockdown auf Sylt nutzten die Großeltern, um sich mal nur um die Familie zu kümmern. „Doch dann wollten wir wieder loslegen und haben unser Haus aus eigenen Mitteln modernisiert. Aus dem vorderen Restaurant-Raum wurden zwei barrierefreie Suiten mit Gartenterrassen und eine trendige Bar“, sagt Verena Fitschen.
Der Traum einer neuen Küche scheiterte an den heutigen Arbeitsvorschriften für Abstände. „Deshalb haben wir lediglich neue MKN Geräte gekauft, eine Grillplatte, 16 Kühlschubladen und einen neuen Pass mit Salamander. Wir sind vom Gasherd auf eine Kombination aus Gas und Induktion umgestiegen. Rund 120.000 Euro hat uns die Modernisierung der Küche gekostet“, erzählt der Patron. Weitere Investitionen gingen in die Neuausstattung der Zimmer und Flure mit pflegeleichten Teppichen, neuem Mobiliar, die neuen Suiten und Bar mit Kupfer und Moos Elementen von Feinwerk aus Husum. Das ‚Fitschen am Dorfteich‘ mit zwölf Mitarbeitern ist bereit für die Gäste mit zehn gemütlichen Zimmer/Suiten ab 165 Euro pro Nacht, 60 Plätzen im Restaurant mit Wintergarten sowie 60 Gartenplätzen.
Schon zu Zeiten vom Restaurant ‚Moby Dick‘ waren die Fitschens Mitglied beim Schleswig-Holstein Gourmet Festival. Noch heute schwärmt der Patron von Gastköchen wie Michael Röhm aus Lüneburg oder Christian Rach mit seinem Lammbeuschel. Die Gastgeberin kann sich noch gut an Fritz Schilling erinnern, der per Telefon die Rezepte für seine Gänge durchgegeben hat, oder Ronny Siewert vom ‚Friedrich Franz‘ in Heiligendamm sowie Philipp Stein aus Mainz, der in der 33. Saison erstmals auf Sylt war und die Herzen der Gäste und Gastgeber im Sturm eroberte.
„Eine Zeitlang hatten wir fünf Sterneköche auf Sylt. Das hat abgenommen, weil die Sterneküche zu aufwendig ist. Aber unser Schleswig-Holstein Gourmet Festival ist legendär“, erzählt Verena Fitschen: „Die Gäste kommen zu uns, philosophieren über das Essen und haben viel Spaß. Mit rund 160 Euro für das 5-Gänge-Menü inkl. begleitender Getränke vom Champagner Lanson über Weine aus Rindchen’s Weinkontor bis zum Digestiv von der Brennerei Vallendar ist es ein attraktives Vergnügen.“
Sylt ist nicht nur durch die Pandemie
ruhiger geworden. Das ehemalige Party-Domizil des internationalen Jetsets wandelt sich zur familiären Insel mit Fokus auf Ruhe, kulinarischen Genuss und Gesundheit. Nur der starke Verkehr stört. Daher der Apell von Verena Fitschen: „Wir dürfen nicht mehr so viele Autos auf unsere Nordseeperle lassen, damit sie nicht vom Tourismus kaputt gemacht wird.“
Fotos: Susanne Plaß, Günter Corinth